Provinz gibt es nicht
„Neue Töne“ verheißen die Tage zeitgenössischer Musik in Straubing und Oberalteich vom 20. bis 24. Juli. Warum man dafür nur Neugier und eine Jogginghose braucht
Zeitgenössische Musik? Wer da vorschnell abwinkt, dem entgeht etwas. Konzerte mit Überraschungseffekt. Konzerte, bei denen man nicht schon vorher genau weiß, was einen erwartet. Wenn das nicht neugierig macht? Und Neugier ist tatsächlich das Einzige, was man mitbringen muss, ob Kenner oder Neuling auf dem Terrain zeitgenössischer Musik. Noch dazu darf man sogar in der Jogginghose kommen, wenn man will, meint augenzwinkernd künstlerischer Leiter Markus Schmitt, der in legerer Atmosphäre ins AnStattTheater und ins Kulturforum Oberalteich einlädt zu „Neuen Tönen“. Konzertfreunde und Förderverein Kultur und Forschung Bogen-Oberalteich knüpfen mit diesem Festival vom 20. bis 24. Juli gemeinsam an die Tradition des Wochenendes zeitgenössischer Musik an. Wir sprachen mit den Veranstaltern. Mit ein Clou – neben der persönlichen Begegnung mit Komponisten – ist aus Sicht von Prof. Kurt Naber, Vorsitzender der Konzertfreunde, dass die Konzerte moderiert werden und die Zuhörer mehr darüber erfahren, wie Komponisten dazu kommen, was sie schreiben.
Stücke von 31 Komponisten aus neun Nationen
Für Markus Schmitt, Komponist und Dozent für Musiktheorie an der Uni Augsburg, ist Straubing ein besonderer Ort, was zeitgenössische Musik angeht. Hier gebe es dafür eine lange Tradition und vor allem ein aufgeschlossenes Publikum. Mit der Musikerfamilie Gerold Hubers gebe es außergewöhnliche Talente und das Anton-Bruckner-Gymnasium vererbe das besondere Klima dafür ohnehin weiter. Das Wort Provinz gibt es für Schmitt nicht. Grund genug für das bevorstehende Festival mit drei Konzerten. Stücke von 31 Komponisten mit neun Nationalitäten sowie drei Uraufführungen, die künftig in der Musikliteratur mit dem Namen Straubing verbunden sein werden. Unter den Komponisten ein Moskauer, ein Bulgare, ein Passauer, Studienkollege von Gerold Hubersenior. Sogar überraschend viele Komponistinnen sind vertreten, „ganz ohne Quote“.
Allein drei Uraufführungen zu erleben
Die Mitglieder der Konzertfreundesind mit ihren Abonnements ohnehin an Bord. Hoffentlich auch viele Mitglieder des Fördervereins Oberalteich. Ansprechen wollen die Organisatoren darüber hinaus ausdrücklich den Publikumsnachwuchs. Ohne didaktischen Zeigefinger, nur mit dem fühl- und hörbaren Konzert-Erlebnis. Man brauche nicht erst Vorkenntnisse zu erwerben, versichert Schmitt. Man muss sich nur darauf einlassen. Er vergleicht das mit dem Besuch einer Galerie für zeitgenössische Kunst. Da erwarte man Abstraktes, Provokatives Das sei hier nicht anders. Jeder nehme etwas für sich mit. Ein Mittel dazu dürfte der Workshop am Anton-Bruckner-Gymnasium sein, an dem zwei zehnte Klassen im Vorfeld teilnehmen. Mit Daniel Agi von „hand werk“ werden sie einen Auszug aus einem Stück erarbeiten, das sie abends dann via Freikarte im Publikum von Profis gespielt hören können, sagt Stefan Frank, der sich auf diese besondere Förderung und Forderung seiner Musik-Schüler freut.
Musik mit Alltagsgegenständen
Das Ensemble „hand werk“ bestreitet das erste Konzert am 20. Juli im Alten Schlachthof. Es steht für body percussion, verleiht Musik mit Alltagsgegenständen, selbstgebauten Ad-hoc-Klangerzeugern oder Körper und Stimme eine eigene Handschrift. Mal schelmisch verspielt, mal spröde und sperrig. Immer ungewöhnlich. Am zweiten Abend steht das neue Lied im Fokus. Traurige Aktualität dabei hat Bertolt Brechts „Kriegsfibel“. Mit Salome Kammer ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten neuer Musik präsent. Die von ihr vorgetragenen Werke der Avantgarde moderiert sie selber. Das dritte Konzert schließlich im Kulturforum Oberalteich lässt neue Töne von den Schlagwerkern Augsburg erwarten, einschließlich einer Uraufführung von Michael B. Weiss.
Das unmittelbare Erleben ist nicht zu ersetzen
Dankbar sind die Konzertfreunde Thomas Späth, Vorsitzender des Fördervereins Oberalteich, der mit erfolgreichen Zuschussanträgen an Stadt, Landkreis, Bezirk und erstmals den Kulturfonds Bayern eine beruhigende Finanzierungsbasis ermöglicht hat. „Wir wären froh, wenn das auf Zukunft angelegt ist. Das würde langfristigere Konzertplanungen erlauben“, sagt Prof. Naber. Markus Schmitt ist am wichtigsten, dass die Leute sich in Pandemiezeiten überhaupt wieder aus ihrem Schneckenhaus herauswagen und in Konzerte gehen. Man könne ja eine Maske aufsetzen. „Das unmittelbare Erleben von Musik ist nicht zu ersetzen.“ Durch kein Streaming. Konzerte sind in seinen Augen „die Lagerfeuer von heute, an denen wir uns Geschichten erzählen“. -mon-
Drei Mal anders