Improvisation mit großem Einfallsreichtum

Helmut Binder, Organist in Bregenz, Vorarlberg, offerierte anlässlich des Orgelzyklus’ in der Wallfahrtskirche auf dem Bogenberg ein sehr außergewöhnliches Konzert. Initiiert wurde dieser Zyklus von Stefan Frank in Zusammenarbeit mit dem Verein für Kultur und Forschung Bogen-Oberalteich. Wie im vergangenen Jahr, waren auch heuer bisher namhafte Organisten zu Gast, die nachhaltigen Eindruck ihrer Kunst bei den Besuchern hinterließen. Aus dem Rahmen des Üblichen fiel das Konzert von Helmut Binder durch die interessante Programmauswahl. Fernab vom „Mainstream“ üblicher Orgelkonzerte spezialisierte sich der Künstler an diesem Spätnachmittag auf dem Bogenberg auf unbekannte Werke von, zum Teil wenigstens außerhalb des engeren Kreises von Orgelenthusiasten, kaum bekannten Komponisten.

Natürlich fehlten auch allgemein bekannte Meister wie Siegfried Karg-Elert nicht, doch lenkte Helmut Binder den Blick der Konzertbesucher besonders auf Pretiosen, die kaum jemand je gehört hatte: Ein überaus reizvolles Werk von Nicolas Jaques Lemmens (1823-1881) mit dem Titel „Der Sturm“, Große Fantasie. Wie aus den Lebensdaten ersichtlich, ist es ein Werk der Romantik; ein Stimmungsbild eines herannahenden Sturmes. Leise, allmählich immer lauter werdend, die Tempi steigernd, baut sich das Unwetter auf, heulend und brausend in tiefen Pedalbässen bricht der Sturm los. Friedvolle Ruhe kehrt ein, ein leises melodiöses Nachklingen. Eine Naturschilderung, oder wie so oft in der Epoche der Romantik eine Allegorie über das Leben?

Zerrissen, kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, Siegfried Karg-Elerts „Kaleidoskop op. 144“, trotzdem fügt sich alles am Schluss zu einem Ganzen zusammen! Ein ruhiges Stück mit durchschaubaren Strukturen, vielleicht gerade deshalb reizvoll „Det Hellige Kors“ aus den „Dänischen Choralvorspielen“ von Anton Heiller (1923 bis 1979). Josef Rheinbergers Toccata aus der 14. Orgelsonate op. 165 und das lebhafte, freudestrahlende „Gaudeamus Igitur“ von Marco Enrico Bossi führten zum Höhepunkt des Konzerts auf dem Bogenberg: Eine eigene Improvisation über das bekannte Kirchenlied „Freudig erheben wir unser Gebet zu dir“. Dieses Thema hat Schubert in seiner Klaviersonate D. 960 op. posth. verarbeitet. Assoziiert man im Alltagsleben das Wort „Improvisieren“ mit Begriffen wie Unvollkommenheit, ohne Vorbereitung gemacht, so stellt die Improvisation in der Musik eine extrem hohe Stufe künstlerischen Könnens dar. Aus dem Stegreif nimmt der Organist ein eigenes oder auch fremdes Thema auf, umspielt, verändert es, fügt eigene Ideen hinzu, verknüpft sie mit der Grundmelodie, lässt diese immer wieder, teils in entfernteren Tonarten, aufleuchten und führt, sofern er alles im Kopf behalten hat, zu einem alles einschließenden Ende. Helmut Binder erfüllte mit seiner Improvisation all diese Forderungen mit großem Einfallsreichtum, Überraschungseffekten, die ohne jeglichen Bruch ineinander übergingen und führte die Gesamtheit der Ideen, eingebettet in die Grundmelodie, zu einem grandiosen Schluss.

 Zeitungsbericht: Orgelkonzert mit Helmut Binder