Phänomenales Spiel

Bogenberg: Orgelkonzert mit Oreni

Vor sechs Jahren erstaunte Paolo Oreni am Bogenberg mit einem musikalisch, wie technisch frappierend, überzeugendem Konzert. Trotzdem kamen diesmal nur knapp 40 Zuhörer in die Wallfahrtskirche, um sich von diesem phänomenalen Orgelspiel mitreißen zu lassen.

Nach der kurzen und doch wesentlichen Einführung durch Stefan Frank begann das Programm mit der Orgelbearbeitung des Händelschen Konzerts op 7/4 durch Jean Guillou. Oreni war Schüler von Guillou. Von ihm bekam Oreni offenbar auch diese elementar ausbrechende künstlerische Kraft eingeimpft. Die Zungen-Register der Rieger-Orgel bei dieser exklusiven Händel-Transkription solistisch oder kombiniert ein Fest. Klanglich eingedickt, aber filigran und leichtfüßig gespielt kam dieser französische Händel daher. Eine durchaus faszinierende Begegnung. Vergleichbar damit, wenn einen die Frau oder Freundin mit einem modisch ungewöhnlichen Kleid überrascht: der Inhalt bleibt ja der Gleiche.

Dann der Mittel- und vorläufige Höhepunkt des Konzerts. Franz Liszts Fantasie und Fuge über „Ad nos, ad salutarem undam“. Das Orgel-Gegenstück zur großen h-moll Klaviersonate. Dauer: 30 Minuten. 765 Takte auf 49 Seiten verteilt. Mit so abgrundtiefem finsterem Klang wie zu Beginn hab ich diese Orgel noch nie gehört. Und was dann folgte, war absolut grandios, vielleicht sogar unvergleichlich. Oreni spielt stets auswendig und registiert ohne Unterstützung selbst. Er hat nicht nur die Noten im Kopf, sondern auch alle Registerwechsel: beim Liszt dürften es an die Hundert gewesen sein. Orenis Spiel wirkt dabei stets frisch, wie aus dem Moment heraus improvisiert. Bei wahnwitzig schnellen Passagen scheint er sich geradezu selbst überholen zu wollen. Dabei legte er manche Manual-Passagen ins Pedal, darunter ein viele Takte langer Sechzehntellauf. Wenn die Kamera nicht die herumwirbelnden zwei Füße gezeigt hätte, man hätte seinen Ohren nicht getraut.

Quasi als Erholung folgte das vielgestaltig virtuose Allegro aus der 6. Orgelsymphonie von Widor. Zum endgültigen Höhepunkt wurde die freie Improvisation. Stefan Frank hatte, passend zum EMFinale am selben Abend, die italienische Nationalhymne vorgeschlagen. Paolo Oreni war sich aber bewusst, dass er in einer Marien-Kirche spielte und begann mit dem Salve Regina (Gotteslob Nr. 570). Dieses tauchte in der Mitte der gut zehnminütigen Improvisation besänftigend wieder auf. Die italienische Hymne wurde auch mal in bitonale (zwei Tonarten gleichzeitig) Regionen entführt.

Im Verlauf steigerte sich Orenis virtuose Improvisationskunst und Registrierkunst ins Unermessliche. Was die Augen sahen (KameraÜbertragung) und die Ohren hörten, konnte das Hirn mit all seiner Erfahrung schier nicht mehr fassen. Irgendwann tauchte dann auch noch die deutsche Nationalhymne auf. Und das Ende: ein letztes, sanftes Zitieren des Salve Regina und ein zärtlich streichelnder Harfenakkord zum Schluss. Stürmischer Applaus. Paolo Oreni bedankte sich nicht nur beim Publikum, sondern – völlig ungewöhnlich – auch bei der Orgel.

Hoffen wir, dass Oreni in sechs Jahren wieder kommt: zu einem weiteren extrem außergewöhnlichen Musikfest.

Kristian Kuhnle

 Zeitungsbericht: Orgelkonzert mit Paolo Oreni