Ein facettenreicher Orgelnachmittag

Köthen, wer denkt da nicht an Johann Sebastian Bach, an sein dortiges Wirken - und an seine „Brandenburgischen Konzerte“! Kein Wunder, dass es in dieser Stadt einen Bachwettbewerb gibt. Eine Preisträgerin dieses und weiterer Wettbewerbe, besonders des Orgelwettbewerbes der Bach-Gesellschaft Wiesbaden und des Internationalen Musikwettbewerbes der ARD, war Gast im Rahmen des Internationalen Orgelzyklus in der Wallfahrtskirche auf dem Bogenberg: Anna-Victoria Baltrusch. Als Preisträgerin bei Bach-Wettbwerben eröffnete die erste 23-jährige Organistin das Konzert welches Stefan Frank in Zusammenarbeit mit dem Verein für Kultur und Forschung Bogen-Oberalteich organisiert hat, natürlich mit Bach: Der Fantasie und Fuge g-moll BWV 542.

Die weit ausladende Fantasie steckt voll, nicht nur für die damalige Zeit, kühner Harmonik. Es hat den Anschein, Bach testete hier die Grenzen des musikalisch machbaren, für das Publikum zumutbaren aus. Nicht der schlanke, bis ins kleinste Detail durchhörbare nordmitteldeutsche Orgelklang für welchen Bach komponierte, stellt das Ideal für die Rieger-Orgel auf dem Bogenberg dar, sondern der volle, überaus farbenfrohe Klang süddeutsch-französischen Typus. Wasjedoch keineswegs heißen soll, Bach, Buxtehude und die anderen protestantischen Kirchenmusiker ließen sich nicht adäquat auf dieser Orgel spielen. Mit einer so großartigen Künstlerin wie Anna-Victoria Baltrusch klingen Werke dieser Meister phänomenal! Trotzdem, mit César Franck, dem Meister der Klangfarben ist die Rieger-Orgel voll in ihrem Element.

Die „Trois piéces“ hat César Franck für eine Cavaille-Coll-Orgel geschrieben. Dieser, wohl berühmteste französische Orgelbauer forderte durch seine innovativen Orgeln, die das Klangspektrum eines Großorchesters abschreiten können, Komponisten geradezu heraus, für diese klanglich nie dagewesenen Instrumente zu schreiben. So strotzt geradezu die „Fantaisie A-Dur“ aus diesen „Trois piéces“ vor Klangfarbenreichtum. Anna-Victoria Baltrusch verstand, durch wohlüberlegte Registerwahl ein überaus farbenprächtiges Klanggemälde zu zaubern. Die wuchtige Einleitung wird von flirrenden, zarten Tönen beantwortet; ein Geflecht in welchem große architektonische Ordnung herrscht, sich ins Fortissimo steigernd um dann piano zu versinken.

Fröhlich, leichtfüßig auf- und abschreitend das Allegro non molto aus der Sonate Nr. IV von Franz Xaver Schnitzer, der eine Generation vor Johann Sebastian Bach lebte. An eine Pastorale mit Vogelstimmen erinnernd, das bezaubernde Andante dieser Sonate. Nach dem Präludium e-Moll von Dietrich Buxtehude hörten die Besucher des Konzertes in der Wallfahrtskirche auf dem Bogenberg ganze neue, bislang ungehörte Töne auf einer Orgel: Sechs, stark von orientalischer Musik inspirierte Sätze des zeitgenössischen libanesischen, in Paris lebenden Komponisten Naji Hakim. Den Titel „Arabesques“ tragen diese Stücke nicht zu unrecht! Kaum zu glauben, wie gut diese Musik auf einer abendländischen Orgel darstellbar ist! So bot Anna-Victoria Baltrusch einen überaus facettenreichen Orgelnachmittag und stellte ihr großes Können und ihr Feingefühl für die Klangweiten der Orgel unter Beweis.

Theodor Auer

 Zeitungsbericht: Preisträgerkontzert mit Anna-Victoria Baltrusch